Freunde
26.11.2016 23:30
Freunde
26.11.2016 23:30
Freunde
„Freunde sind wie Sterne. Du kannst sie nicht immer sehen, aber du weißt, sie sind immer für dich da.“ heißt es so schön in Spanien.
Zumindest hier in Deutschland gibt es auch Freunde, die sieht man öfter, als einem lieb ist.
Die mehr für einen da sind, als man sich das jemals wünschen würde.
Die man, wenn man wirklich ganz ehrlich wäre, am liebsten gar nicht zum Freund hätte.
Einer meiner besten Freunde ist so einer.
Als ich ihn das erste Mal sah und er mir unter die Arme griff, brach ich in Tränen aus. Und verbannte ihn daraufhin erst einmal für ein halbes Jahr in den Keller.
Aber dann kam die Adventszeit. Die Tage wurden kürzer und kälter. Und meine anderen Freunde wollten mit mir - wie jedes Jahr – auf den Weihnachtsmarkt gehen, bummeln, Glühwein trinken….
Gerade dieses Jahr hätte ich ganz gut auf den Glühwein verzichten können, da ich - dank meiner MS - inzwischen völlig ohne Alkoholkonsum in den schönsten Schlangenlinien laufen und auch schon lange nicht mehr auf einem Bein stehen kann. Auch auf zweien nicht mehr lange genug, um einen Weihnachtsmarktbummel durchzustehen.
Andererseits wollte ich nicht auf diesen besonderen Abend mit meinen Freunden verzichten.
Nur auf meinen einen speziellen Freund, den ungeliebten im Keller, auf den hätte ich gerne verzichtet. Andererseits könnte ich vielleicht mit seiner Hilfe..
Aber….
Aber wie sonst?
Lieber gar nicht?
Weihnachtsmarktstimmung, der Duft nach Zimt und gebrannten Mandeln, sich gemeinsam über die vielen Fressbuden oder den Konsumterror vor dem Fest aufregen oder auch an einer besonderen Geschenkidee freuen.
Wie sonst?
Es wäre ja schon beinahe dunkel und mein Freund ist schwarz und damit abends quasi unsichtbar.
Also gab ich mir einen Stoß und ging in den Keller, ihn zu holen. Er war schon ein wenig muffig, nachdem ich ihn ein halbes Jahr so schmählich ignoriert hatte. Und rächte sich auf die ihm eigene Weise: er sperrte sich, ins Auto einzusteigen. Nachdem ich ihm erst keinen Raum in meinem Leben zubilligen wollte, bestand er zumindest auf ausreichend Platz in meinem Toyota. Erst als ich die Rückbank umgeklappt hatte, war er zufrieden.
Das war der Beginn einer bis heute andauernden Hassliebe.
Er ist schon lange kein Kellerkind mehr.
Mir kommen auch nicht mehr jedes Mal die Tränen, wenn er mir unter die Arme greift. Dann wäre ich auch fast nur noch am Heulen, denn ich brauche ihn inzwischen täglich.
Oft bin ich fürchterlich ungerecht zu ihm, lasse meine schlechte Laune an ihm aus und beschimpfe ihn. („Geschlechtsneutralisator“ ist dabei noch relativ harmlos.)
Trotzdem ist er immer für mich da, bewahrt meinen Fuß vorm Gleiten und meine Ohren vor dem entrüsteten Getuschel oberflächlicher Zeitgenossen: “So früh schon betrunken!“
Er dient mir als Pausenbank, Einkaufswagen, Buffet-Abräum-Stapler, Liegestuhl im Freibad, Adventskranztransporter, überhaupt als Lastenträger in allen möglichen Situationen.
Leider ist mein Rollator nicht so unsichtbar, wie einige meiner anderen Freunde inzwischen.
Darin gleicht er eher meinen echten Freunden: er erträgt meine Launen und ist immer für mich da.
Zumindest hier in Deutschland gibt es auch Freunde, die sieht man öfter, als einem lieb ist.
Die mehr für einen da sind, als man sich das jemals wünschen würde.
Die man, wenn man wirklich ganz ehrlich wäre, am liebsten gar nicht zum Freund hätte.
Einer meiner besten Freunde ist so einer.
Als ich ihn das erste Mal sah und er mir unter die Arme griff, brach ich in Tränen aus. Und verbannte ihn daraufhin erst einmal für ein halbes Jahr in den Keller.
Aber dann kam die Adventszeit. Die Tage wurden kürzer und kälter. Und meine anderen Freunde wollten mit mir - wie jedes Jahr – auf den Weihnachtsmarkt gehen, bummeln, Glühwein trinken….
Gerade dieses Jahr hätte ich ganz gut auf den Glühwein verzichten können, da ich - dank meiner MS - inzwischen völlig ohne Alkoholkonsum in den schönsten Schlangenlinien laufen und auch schon lange nicht mehr auf einem Bein stehen kann. Auch auf zweien nicht mehr lange genug, um einen Weihnachtsmarktbummel durchzustehen.
Andererseits wollte ich nicht auf diesen besonderen Abend mit meinen Freunden verzichten.
Nur auf meinen einen speziellen Freund, den ungeliebten im Keller, auf den hätte ich gerne verzichtet. Andererseits könnte ich vielleicht mit seiner Hilfe..
Aber….
Aber wie sonst?
Lieber gar nicht?
Weihnachtsmarktstimmung, der Duft nach Zimt und gebrannten Mandeln, sich gemeinsam über die vielen Fressbuden oder den Konsumterror vor dem Fest aufregen oder auch an einer besonderen Geschenkidee freuen.
Wie sonst?
Es wäre ja schon beinahe dunkel und mein Freund ist schwarz und damit abends quasi unsichtbar.
Also gab ich mir einen Stoß und ging in den Keller, ihn zu holen. Er war schon ein wenig muffig, nachdem ich ihn ein halbes Jahr so schmählich ignoriert hatte. Und rächte sich auf die ihm eigene Weise: er sperrte sich, ins Auto einzusteigen. Nachdem ich ihm erst keinen Raum in meinem Leben zubilligen wollte, bestand er zumindest auf ausreichend Platz in meinem Toyota. Erst als ich die Rückbank umgeklappt hatte, war er zufrieden.
Das war der Beginn einer bis heute andauernden Hassliebe.
Er ist schon lange kein Kellerkind mehr.
Mir kommen auch nicht mehr jedes Mal die Tränen, wenn er mir unter die Arme greift. Dann wäre ich auch fast nur noch am Heulen, denn ich brauche ihn inzwischen täglich.
Oft bin ich fürchterlich ungerecht zu ihm, lasse meine schlechte Laune an ihm aus und beschimpfe ihn. („Geschlechtsneutralisator“ ist dabei noch relativ harmlos.)
Trotzdem ist er immer für mich da, bewahrt meinen Fuß vorm Gleiten und meine Ohren vor dem entrüsteten Getuschel oberflächlicher Zeitgenossen: “So früh schon betrunken!“
Er dient mir als Pausenbank, Einkaufswagen, Buffet-Abräum-Stapler, Liegestuhl im Freibad, Adventskranztransporter, überhaupt als Lastenträger in allen möglichen Situationen.
Leider ist mein Rollator nicht so unsichtbar, wie einige meiner anderen Freunde inzwischen.
Darin gleicht er eher meinen echten Freunden: er erträgt meine Launen und ist immer für mich da.
Kommentare
Schirin 26.11.2016 23:30
Ich wünsche Euch allen einen freundlichen 1. Advent!
(Nutzer gelöscht) 27.11.2016 16:50
U. , jede Deiner Geschichten ist ein Lesevergnügen !
Da werfen die in Stockholm den Literaturnobelpreis 2016 einem Musiker hinterher, der die hohe Auszeichnung nicht einmal abholen mag - hier wäre eine bessere Preisträgerin !
"Sei gesegnet"
Da werfen die in Stockholm den Literaturnobelpreis 2016 einem Musiker hinterher, der die hohe Auszeichnung nicht einmal abholen mag - hier wäre eine bessere Preisträgerin !
"Sei gesegnet"
SwabianLady 27.11.2016 22:20
Den Worten meines Vorredners ( "Schreibers" ) kann ich mich nur in vollem Umfang anschließen! Absolut klasse, was ich immer wieder von Dir lesen darf!
Maria66 28.11.2016 09:10
super geschrieben Schirin.
danke ich war gespannt auf deinen "Freund"
mir gehts ähnlich , habe sogar zwei Freunde, einen auf der Terrasse (armer Kerl den frierts jetzt sicherlich) der andere ist in der Wohnung.
mit Alkohol gehts mir ähnlich ich verzichte seit Jahren darauf, auch auf Sekt zu Sylvester und was soll ich sagen. mir geht er nicht ab.
danke dann
danke ich war gespannt auf deinen "Freund"
mir gehts ähnlich , habe sogar zwei Freunde, einen auf der Terrasse (armer Kerl den frierts jetzt sicherlich) der andere ist in der Wohnung.
mit Alkohol gehts mir ähnlich ich verzichte seit Jahren darauf, auch auf Sekt zu Sylvester und was soll ich sagen. mir geht er nicht ab.
danke dann
(Nutzer gelöscht) 28.11.2016 11:28
Wo ist die Unlogik ?
"Er ist schon lange kein Kellerkind mehr" sagt doch schon alles:
So ein Rollator ist sehr praktisch: Sitzplatz serienmäßig z.B. in der Tram - dass ich mich mit ihm auch auf der Straße etwas oute, ist egal:
Denn ich bin sowieso hemmungslos hetero ...
"Er ist schon lange kein Kellerkind mehr" sagt doch schon alles:
So ein Rollator ist sehr praktisch: Sitzplatz serienmäßig z.B. in der Tram - dass ich mich mit ihm auch auf der Straße etwas oute, ist egal:
Denn ich bin sowieso hemmungslos hetero ...
(Nutzer gelöscht) 28.11.2016 22:36
@Amber5
viele Einschränkungen werden mit der Zeit größer und oft denkt man in einem solch fortschreitenden Prozess mit Wehmut an längst vergangene Tage zurück
nichts anderes hat Schirin getan, hat erzählt von dem Moment, an dem der lieb gewonnene Adventsmarkt-Besuch nicht mehr ohne Hilfsmittel möglich war - und was es für eine Überwindung war, sich das einzugestehen (oder besser zuzugestehen)
und wenn Du schon zitierst, dann bitte vollständig, denn Schirin schrieb
"denn ich brauche ihn inzwischen täglich."
das Wort inzwischen spiegelt wieder, dass Zeit vergangen ist, Zeit, in der weitere Fähigkeiten verloren gingen
viele Einschränkungen werden mit der Zeit größer und oft denkt man in einem solch fortschreitenden Prozess mit Wehmut an längst vergangene Tage zurück
nichts anderes hat Schirin getan, hat erzählt von dem Moment, an dem der lieb gewonnene Adventsmarkt-Besuch nicht mehr ohne Hilfsmittel möglich war - und was es für eine Überwindung war, sich das einzugestehen (oder besser zuzugestehen)
und wenn Du schon zitierst, dann bitte vollständig, denn Schirin schrieb
"denn ich brauche ihn inzwischen täglich."
das Wort inzwischen spiegelt wieder, dass Zeit vergangen ist, Zeit, in der weitere Fähigkeiten verloren gingen
Schirin 28.11.2016 23:21
Ich freue mich, wenn Ihr beim Lesen genau soviel Spaß habt, wie ich beim Schreiben!
Stefan1 30.11.2016 13:17
hey, das kenne ich, ich habe früher regelmäßig eine "Radikaldiät" gemacht, morgens, mittags und abends salat und nur etwas (sehr wenig) Brot.. manchmal etwas Pute dazwischen... (ca. 4 Wochen), naja was soll ich sagen, ausser: Jojoeffekt. Leider kann ich das heute nicht mehr, da mein Magen recht empfindlich geworden ist und bei zuviel Salat anfängt Probleme zu machen, k.a. warum... Früher habe ich damit innerhalb 4 Wochen allen überschüssigen Speck abgebaut (zumindest für ca. 6 Monate).
Schirin 03.12.2016 22:15
Radikal ist das "Wahls Protocol" schon, aber keine Diät, sondern eine Ernährungsumstellung, die kleinen Erfolge, die ich damit zur Zeit erziele, bewahren mich vor dem Jojo Effekt, allerdings nicht vor "Junk Food Moments.
Was soll's, ich laufe einen Marathon (wenn auch mit Rollator ) und keinen Sprint.
Inzwischen habe ich ein neues "Kellerkind", den Rollstuhl. Seit meiner Ernährungsumstellung muss ich aber nur noch einmal monatlich in den Keller, um seinen Akku wieder aufzuladen, damit er sich nicht tiefen entlädt.
Was soll's, ich laufe einen Marathon (wenn auch mit Rollator ) und keinen Sprint.
Inzwischen habe ich ein neues "Kellerkind", den Rollstuhl. Seit meiner Ernährungsumstellung muss ich aber nur noch einmal monatlich in den Keller, um seinen Akku wieder aufzuladen, damit er sich nicht tiefen entlädt.
(Nutzer gelöscht) 12.12.2016 23:21
Das ist schön und liebevoll geschrieben. Ein wirklich schöner Text. Ich als Blitzmerker habe es erst zum Schluss verstanden worum es ging. Aber toller Text