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Der perfekte Konkurrent

Der perfekte Konkurrent
 Es ist ein komisches Gefühl an einen Ort zurückzukehren, den man noch vor einer Woche tränenüberströmt und nach zwanzig Jahren verlassen muss, nachdem der Chef mir eröffnet: „Tut mir leid Frau Eiselmann. Aber die Zeiten haben sich geändert und sie können sicher verstehen, dass unser Geschäft den Anforderungen unserer Kunden gerecht werden muss und wir darum andere Wege gehen müssen.“ Mit diesen Worten drückt er mir den Kündigungszettel in die Hand und ab da fallen die Tränen. Ich wende mich ab und verlasse mit einem letzten Blick auf meinen Nachfolger, der still und eisern dort steht und wahrscheinlich auch für immer dort stehen wird.Nun eine Woche später, steht der „Kaufberater 1.0“, der so vieles besser machen soll, als sein menschliches Gegenstück, noch genauso unbeweglich da, wie zuvor. Wenn ihr Sohn Tom jetzt wüsste, wo sie jetzt ist, würde er wahrscheinlich seinen dünnen Kopf verständnislos schütteln und in seinem großen Elektrorollstuhl davon rollen. Dabei braucht sein muskelloser Körper dringend eine neue Hose, die keine Falten, die auf die Knochen drücken und weh tun, werfen. Diese vermaledeite Muskeldystrophie. Es tut einfach weh, mit anzusehen, wie Tom immer weiter abbaut. Da ist es mir wichtig, es ihm so angenehm wie möglich zu machen.  Er würde bestimmt fragen, warum ich dann ausgerechnet hierher zurückgekommen bin, an diesen Ort der Tränen, wenn ich so eine Hose doch überall kaufen könnte? Na ja, manchmal sind es die vertraute Umgebung und die vertrauten Gerüche, die die Trauer überlagern und uns wiederkehren lassen. In diese hellen und weitläufigen Räume voller bunter Kleider, wo Menschen die Gänge hinabschleichen auf der Suche nach der perfekten Abendrobe oder dem schönsten Kleid, das sich die Dame vorstellen kann. Am Ende dieser Gänge haben dann wir gestanden. Die Feen, die diese Wünsche Wirklichkeit werden lassen. Doch jetzt sind aus diesen Feen algorithmusgesteuerte Blechbüchsen geworden, denen das Glitzern in den Augen glücklicher Kunden, so egal wären, als wenn der Kunde vor ihnen zusammenbrechen würde. Was haben sie also an sich, diese Maschinen, dass sie so unersetzbar macht. Ich beschließe, dieser Sache auf den Grund zu gehen und stelle mich vor einen „Kaufberater 1.0“. Es handelt sich um eine große Säule, in dessen Mitte ein großer Bildschirm prangt. „Wenn Sie Hilfe brauchen, tippen sie mich einfach an!“, steht in weißen Leuchtbuchstaben darauf.  Nur ein Satz. Ohne ein freundliches Lächeln oder ein leichtes Händeschütteln, wie ich es stets gemacht habe. Der Lohn dafür, der ein zurückhaltendes Lächeln oder auch nur ein Leuchten in den Augen sein konnte,  ist für mich immer eine Freude gewesen und ich bin die Zeit über der Meinung gewesen, dass dies förderlich für den Verkauf wäre. Aber das ist wohl unwichtig geworden. Ich tippe auf den Bildschirm und die Schrift verschwindet und kurz darauf erscheinen Mann und Frau in Miniatur, die Arme seitlich vom Körper ausgestreckt. „Willkommen! Ich bin ihr Kaufberater! Um sie optimal beraten zu können, müssen sie mir ein paar Fragen beantworten. Dann suche ich das Kleidungsstück heraus, was sie sich wünschen!“, ertönt eine angenehme Männerstimme. Das ist durchaus eine Überraschung. Ich habe es auch immer so gemacht, dass ich mit meinen Kunden ins Gespräch gekommen bin, um ihre Geschichte zu erfahren. Plötzlich sehe ich ein altes Ehepaar vor mir. Herr Borstel, ein Mann mit weitem Hut und schwarzem Spazierstock, hat tief braune Augen mit einem geheimnisvollen Glitzern darin. Er hat seine Hand auf die Schulter seiner Frau gelegt, die in ihren weiten und farbenfrohen Gewändern ihren Mann anlächelt. Das erste Wort, was mir beim Anblick der Beiden in den Sinn gekommen ist, ist das Wort Glück. Ja, ich finde, sie sind der Inbegriff eines glücklichen Paares gewesen und ich kann mir nicht vorstellen, was ihnen noch fehlt. „Wir wollen nochmal erleben, wie es ist zu Heiraten und wollen dazu unsere Goldene Hochzeit nutzen und da es  ein besonderer Tag werden soll, sollte man passend gekleidet sein.“, höre ich Herrn Borstel sagen. Seine Frau hat dabei den Finger gehoben und lächelnd hinzugesetzt: „Dabei meinen wir keineswegs ein Kleid und Anzug, denn das kann ja jeder. Nein, wir wollen etwas Außergewöhnliches. Etwas was im Gedächtnis bleibt. Verstehen sie?“ Ich habe verstanden und so haben wir nach dem Besonderen gesucht und letztlich nach viel Freude und Gelache auch gefunden. Ich kann sie noch vor mir sehen, diese Dankbarkeit in den Augen der Beiden. Da war ich auch glücklich.„Geben sie die gewünschte Größe an“ , holt mich die Computerstimme wieder in die Gegenwart zurück. Tom ist sehr schmal, also tippe ich auf „S“ Es kommen noch ein paar weitere solcher Fragen, von der warmen aber zugleich seltsam emotionslosen Stimme und ich frage mich, ob ich das all die Jahre nicht besser gemacht habe und plözlich regen sich Zweifel in meinem Bauch. Als ich meine Wunschhose auf dem Bildschirm sehe (Ja, genauso habe ich sie mir m Vorfeld vorgestellt) kriechen mir diese Zweifel wie Würmer die Kehle hinauf. Warum ist dieses Etwas aus Metall besser als ich? Zählt denn nur noch die Perfektion? Wo bleibt die Menschlichkeit? Das Gesicht von Tom taucht vor meinem inneren Auge auf. Dünn und traurig in eine ungewisse Zukunft schauend. Und das nur wegen zu viel Menschlichkeit. „Vielen Dank für ihren Besuch! Beehren sie uns wieder!“, sagt die Maschine im emotionslosen Ton und voller Professionalität. Ich, der Mensch, schnappe   mir den nächsten Wäscheständer und dresche auf den „Kaufberater 1.0“ ein, bis auf dem Bildschirm in roter Schrift geschrieben steht: „Tut mir Leid! Dieses Gerät muss gewartet werden. Das Gerät ist in: Unbestimmter Fehler; wieder einsatzbereit.“ 


 Ende

Kommentare

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(Nutzer gelöscht) 15.06.2019 17:45
Puh, viel auf einmal..
 
(Nutzer gelöscht) 15.06.2019 18:05
ich hatte scon mit 12 Jahren kein Problem ,viel zu lesen, deshalb schaut für mich “ viel“ ganz anders aus lachendes Smiley
 Hat mir sehr gut gefallen deine Geschichte.
 
Callimaus 15.06.2019 18:07
Schliesse mich Minerl an.
Viel ist anders. ☺️
 
(Nutzer gelöscht) 15.06.2019 18:17
Cool geschrieben. Buch- oder Kolumnenreif. Die Länge ist nicht das Problem. Füge doch in Zukunft ein paar Absätze ein, dann wird es wesentlich angenehmer zu lesen.
 
(Nutzer gelöscht) 15.06.2019 18:18
Ergänzung: Besser gesagt: Leerzeilen
 
Bimlado 15.06.2019 18:20
das denke ich auch. das ist noch wenig. Aber ich bin sowieso, der Mann der kurzen Geschichten.
 
(Nutzer gelöscht) 15.06.2019 18:21
Ich fand es auch sehr schön zu lesen.
Bitte weiter so👍🙂
 
Schmusekater 15.06.2019 18:38
Freue mich schon auf die nächste Geschichte @Bimlado👍
 
Bimlado 15.06.2019 18:42
Kommt bestimmt. Schön das sie gefällt
 
(Nutzer gelöscht) 15.06.2019 19:43
Danke Bimlado, es war sehr schön zu lesen und ich freue mich auf deine nächste Geschichte.
 
Kater52 16.06.2019 10:31
Deine Geschichte hat mit gut gefallen. Macht Lust auf mehr.
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