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Das Schöffenamt - Bürgerbeteiligung in der Justiz

Das Schöffenamt - Bürgerbeteiligung in der Justiz
Im kommenden Jahr sind Schöffenwahlen. Das ist für jeden (deutschen Staatsbürger) über 25 Jahren und unter 70 Jahren die Möglichkeit sich für 5 Jahre an der Rechtsprechung aktiv in einem Kollegialgericht zu beteiligen.

Man kann sich selbst um dieses Amt bewerben oder man kann auch dazu verpflichtet werden. Es ist nicht einfach dieses Amt abzulehnen, da es ein sogenanntes „Pflichtehrenamt“ ist. Bedauerlicherweise haben viele durch die Amtsübernahme Probleme mit ihren Arbeitgebern, da nicht alle für dieses Amt Verständnis haben. 

Bestimmte Berufe (z.B. Gesundheitspflegeberufe, Feuerwehr, Polizei, etc.) brauchen dieses Amt nicht zu übernehmen bzw. sie sind sogar davon ausgeschlossen (Berufe in der Justiz, Abgeordnete, etc.).

Man kann am Amtsgericht (bis zu 4 Jahren zu erwartendes Strafmaßzwinkerndes Smiley oder am Landgericht verpflichtet werden. Beim letztgenannten ist dann alles möglich, von Eigentumsdelikten über Berufungsverhandlungen bis hin zu Tötungsdelikten (Schwurgericht).

Als Schöffin oder Schöffe braucht man keine juristischen Vorkenntnisse. Als Jugendschöffin oder Jugendschöffe wird in einigen Bundesländern eine bestimmte Erfahrung im Umgang mit Jugendlichen vorausgesetzt.

Ein großer Nachteil bei Erstübernahme des Amtes ist, dass man sozusagen ins „kalte Wasser geworfen“ wird und man im Vorfeld an einer  ein- bis zweistündigen Einführungsveranstaltung (meist im ersten Amtsjahr) teilnehmen kann. Das ist aber absolut nicht ausreichend, um zusammen mit den Berufsrichterinnen und Richtern gleichberechtigt in der Hauptverhandlung agieren zu können, wie es eigentlich im Gesetz steht, denn es herrscht ein „Machtgefälle“, welches je nach Vorsitzende Richterin oder Richter stark ausgeprägt sein kann.

Dieses „Machtgefälle“ rührt zum Teil daher, dass die ehrenamtlichen Richterinnen und Richter in der Strafjustiz nicht ausreichend über ihre Aufgaben, Rechte und Pflichten vorab unterrichtet werden. Das ist aber absolut notwendig, um nicht nur als "Staffage" in der Hauptverhandlung zu sitzen oder als "Stimmvieh" im Beratungszimmer degradiert zu werden. 

Schöffinnen und Schöffen entscheiden, anders als Geschworene nicht nur über Schuld oder Unschuld eines Angeklagten, sondern bestimmen auch das Strafmaß. Sie können zusammen auch z.B. den Berufsrichter am Schöffengericht überstimmen.

Ich darf z.B. den Angeklagten und Zeugen befragen, ohne dass ich den Vorsitzenden Richter vorher fragen muss, ob ich fragen darf – so steht es in der Strafprozessordnung. Die Realität ist aber fast immer eine andere; Vorsitzende Richter versuchen das Recht ihrer ehrenamtlichen Kollegen oft einzuschränken. Da bedarf es noch sehr viel Aufklärungsarbeit – auch bei den Berufsrichterinnen und Richtern.

Auch haben Schöffinnen und Schöffen in bestimmten Fällen das Recht auf Akteneinsicht (was oft von Berufsrichtern verneint wird) und auch der Anklagesatz muss nach Verlesung der Anklageschrift den Schöffinnen und Schöffen zugänglich gemacht werden – auch das wird oft verwehrt.

Man erfährt auch erst 5 bis 10 Minuten vor der Verhandlung, um welches Delikt es geht.

Ich bin nun seit 2019 an einem Amtsgericht als Jugendschöffin tätig und hatte schon einige sehr interessante Verhandlungen. Ich habe mich noch nicht entschieden, ob ich eine 2. Amtsperiode übernehme.

Hat jemand von euch Erfahrung mit dem Schöffenamt oder möchte irgendetwas darüber wissen?

Ich freue mich auf eure Beiträge zum Thema Schöffenamt!


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Kommentare

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Thohom 27.08.2022 17:21
Ich habe mir das schon mal überlegt, nur bin ich mir nicht sicher, ob meine "Schwarte" dafür dick genug ist.
 
Llavis 27.08.2022 18:01
@Thohom:

Ja, man sollte so einiges aushalten können.

Hier mal eine kleine Auflistung von Befähigungskriterien, die von Vorteil sein können, wenn man sie mitbringt:

- soziale Kompetenz


- Menschenkenntnis und Einfühlungsvermögen

- logisches Denkvermögen und Intuition

- berufliche Erfahrung

- Vorurteilsfreiheit auch in extremen Situationen

- Kenntnisse über die Grundlagen des Strafverfahrens, die Bedeutung von Kriminalität und Strafe sowie die Bedeutung der Rolle der Schöffen

- Mut zum Richten über Menschen, Verantwortungsbewusstsein für den Eingriff in das Leben anderer Menschen,

- Gerechtigkeitssinn, Denken in gerechten Kategorien

- Standfestigkeit und Flexibilität im Vertreten der eigenen Meinung

- Kommunikations- und Dialogfähigkeit.
 
Llavis 27.08.2022 18:15
@Zaya:

Wenn du als Hauptschöffin gewählt wurdest, bekommst du deine Terminrolle immer für ein ganzes Jahr im Voraus mitgeteilt. So kann man seinen Urlaub einigermaßen gut planen. Da man aber nie genau weiß, wie lange eine Verhandlung wirklich dauert, sollte man die Urlaubswünsche rechtzeitig bekannt geben, damit ein Ersatzschöffe einspringen kann.

Wenn du als Ersatzschöffin gewählt wirst springt man immer dann ein, wenn ein Hauptschöffe ausfällt (z.B. durch Krankheit). Ersatzschöffen kommen auf eine Liste, die der Reihenfolge nach eingesetzt werden - wenn einer nicht kann folgt der nächste usw. Da weiß man nie, wann so ein Termin kommt, aber man kann ihn auch leichter absagen.
 
Frangipani1962 27.08.2022 18:25
Llavis, was ist eigentlich der Unterschied zwischen einem Richter im Ehrenamt und einem Schöffen? Das wollte ich schon immer mal wissen.
 
Julio1981 27.08.2022 18:53
Ein Schöffe ist ein ehrenamtlicher Laienrichter. Ganz für umme arbeitet man allerdings nicht, da es eine Aufwandsentschädigung gibt. Solange diese Laienrichter nicht "Richter gnadenlos" spielen und in diesem Amt versuchen überzogene Ordnungsphantasien auszuleben, finde ich diese Institution wirklich sehr gut! 
 
Llavis 27.08.2022 18:54
@Frangipani1962:

Ehrenamtliche Richter ist der Oberbegriff.

Es gibt sie beim Arbeitsgericht, Finanzgericht, Sozialgericht und am Verwaltungsgericht. Hinzu kommen die Landwirtschaftsrichter, sowie die Handelsrichter, wobei letztere meist ein abgeschlossenes Wirtschaftsstudium oder ähnliches haben.

Arbeits- und Sozialrichter sind meist auch besonders geschult.

Schöffen werden ausschließlich ehrenamtliche Richter in der Strafjustiz genannt.
 
Frangipani1962 27.08.2022 18:56
Danke vielmals für die korrekte und ausführliche Info 👍
 
Llavis 27.08.2022 18:59
@Julio1981:

genau: es gibt 7 € in der Stunde Aufwandsentschädigung und Versäumniszuschlag.

Meist "zügeln" die Berufsrichter die übertriebenen Strafmaßfantasien von Schöffen, denn auch sie sind an das Gesetz gebunden.
 
Llavis 28.08.2022 19:20
Ein kleiner Nachtrag:

Manche fragen sich bestimmt, wie oft man im Jahr zum Schöffendienst herangezogen wird.

Der Gesetzgeber sieht nicht mehr als 12 Verhandlungstage vor. Allerdings ist das in der Praxis natürlich oft nicht möglich, wenn für einen Prozess z.B. schon im Vorfeld 20 Verhandlungstage angesetzt sind, wie es gelegentlich in umfangreicheren Verfahren üblich ist (z.B. Wirtschaftsstrafsachen oder Tötungsdelikte).

Am Amtsgericht gehen die Verhandlungen in der Regel nicht länger als einen Sitzungstag. Am Landgericht sind es oft mehrere Verhandlungstage. Aber eine generelle, zuverlässige Aussage lässt sich da auch nicht machen.    

Allerdings kann man sich ab einer bestimmten Anzahl von teilgenommenen Verhandlungstagen vom restlichen Schöffendienst befreien lassen.

Als Jugendschöffin hatte ich seit 2019 bisher ungefähr 4 bis 9 Verhandlungstage im Jahr.


Ich habe auch schon von anderen Schöffinnen und Schöffen gehört, dass sie bisher nur sehr wenige Einsätze hatten. 

Übrigens: Das man als in seiner Funktion als ehrenamtliche Richterin oder Richter vom Angeklagten bedroht wird ist absolut selten und da muss man sich keine Sorgen machen.
 
(Nutzer gelöscht) 28.08.2022 19:43
Hey, wenn ihr Infos zum Schöffenamt braucht, schreibt mich gerne an. Ich war 4 Jahre Hilfsschöffin am Landgericht Wuppertal. Eine total interessante Tätigkeit, und man bekommt einen undchätzbar guten Einblick in die deutsche Rechtssprechung. 
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