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GROSS & klein

GROSS & klein
Manchmal erinnere ich mich an meine Kindheit, wo ich an der Hand meiner Eltern durch die Straßen unserer Stadt ging. Übrig geblieben davon ist vor allem das Wissen, dass ich mich an dieser Hand sicher gefühlt habe. Ich konnte meine Späße machen…, konnte in meiner Umgebung all die Dinge bestaunen, die mir begegneten…, konnte Fragen stellen, bekam Antworten…, und musste mir um weitere Dinge keine Gedanken machen – außer um die in meiner kleinen Welt…

Als ich größer wurde und in die Schule ging, lief ich seltener – und später gar nicht mehr an der Hand meiner Eltern… Und obwohl ich die Erfahrung des „an-die-Hand-nehmens“ dadurch nicht mehr unmittelbar verspürte, fühlte ich mich auch in dieser Zeit sicher behütet. Es gab da die GROSSEN, die Erwachsenen, die ich jederzeit um Rat fragen konnte, die mich immer noch behüteten und manches Mal auch „an die Hand nahmen“.

Dieses Gefühl, dass es dort jemanden gab, der größer war als ich, erfahrener…, weiser vielleicht auch blieb selbst dann, als ich erwachsen wurde und einen Sohn bekam.
Allerdings war auch ich jetzt für meinen Sohn einer der „GROSSEN“.

Für den, der wie ich keine kleineren Geschwister hatte, veränderte sich die Situation von einen Tag auf den anderen: War ich bis zur Ankunft meines Sohnes nur der „Kleine“, war ich ab diesem Moment sowohl ein „GROSSER“ als auch ein „Kleiner“, obwohl ich im Grunde zwischen diesen zwei Zuständen weder wesentlich mehr „gelernt“ hatte, noch anderweitig irgendwie darauf vorbereitet wurde. Ja, es gab nicht mal irgendeine Prüfung…
Wenn ich den Anforderungen nun nicht gewachsen war?
...aber für diesen Fall gab es noch die „GROSSEN“…

Heute sind meine Eltern beide nicht mehr da. Mein Sohn ist inzwischen erwachsen, hat selbst aber noch keine Kinder. Und von Zeit zu Zeit gibt es Situationen, in denen er zu mir kommt mit der Bitte um Hilfe, denn ich bin der “GROSSE” und ich würde schon Rat wissen… und helfen können…
Und ich weiß zumeist Rat… und kann ihm helfen…, nehme ihn sozusagen an die Hand, manchmal auch einfach nur in den Arm…, gebe Impulse… und manchmal auch Geld…

Für ihn bin ich immer da, und das ist auch etwas, was ich nicht müde werde zu erzählen. Diesen Rückhalt zu haben, dieses ganz sichere Wissen, dass da jemand ist, der immer zu mir hält, der mich immer liebt, was auch immer ich denke, fühle und tue, das ist meiner Meinung nach etwas sehr Wesentliches in unserem Leben.

So lange, wie ich auf dieser wunderschönen Erde weile, will ich dieser „GROSSE“ für ihn gern sein, möchte ihm, so gut es in jedem Moment geht, diesen Halt geben, denn ich liebe ihn sehr.

Was passiert aber in solchen Situationen, in denen es mir selbst an der erforderlichen Kraft mangelt? Was geschieht, wenn ich haltsuchend umher schaue und es ist niemand da, der mir Rückhalt geben kann…, zu dem ich aufschauen kann…, den ich um Beistand bitten kann?

Ich sehe das Bild vor meinen Augen, wo ich meinen Sohn an der Hand habe, der sich sicher geführt weiß, aber um mich herum tobt ein heilloses Chaos, und im Grunde weiß ich weder ein noch aus, ängstlich bemüht, meine eigene Haltlosigkeit nicht spüren zu lassen. Dennoch halte ich die Hand meines Sohnes sicher fest, und gleichzeitig spüre ich in mir die tiefe Sehnsucht und den heftigen Wunsch, in diesem Moment selbst an die Hand genommen zu werden…

Manchmal hilft es mir, in solchen Augenblicken Menschen anzusprechen, die mir auf meinem Weg begegnen. Dabei erlebe ich oft, dass sie, um Hilfe gebeten, plötzlich zu einem größeren Wesen „erwachsen“. Indem ich sie um Hilfe bitte und mich damit „kleiner“ mache, können sie ihre eigene Größe deutlicher spüren, und aus dieser Position der Stärke fällt es ihnen leicht, mir zu helfen.

Wer um Hilfe gebeten wird, fühlt jedoch nicht nur seine eigene Stärke und Größe deutlicher, sondern erlebt gleichzeitig, wie sehr es ihn in seinem Inneren berührt, für jemand anderen hilfreich sein zu können.

Mich berührt in solchen Augenblicke ganz besonders der Gedanke, dass es da einen Menschen gibt, dem meine Anwesenheit und meine Hilfe in diesem Moment ganz besonders gut tut…, jemand, der meine helfende Hand erleichtert und dankbar angenommen hat…

Wer diese Gefühle schon einmal erlebt hat weiß, dass wir, indem wir jemandem etwas von uns geben, gleichzeitig unendlich viel bekommen….

Manchmal gab es für mich jedoch auch die Erfahrung, dass kein Mensch in meiner Nähe war, der mir hätte helfen können, und dennoch erlebte ich, wie mich eine Energie stärkte, die scheinbar aus meinem Inneren kam. Es war, als wenn an einem dunkel verhangener Himmel plötzlich die Wolkendecke aufriß und strahlender Sonnenschein mich durchströmte, der mich gleichzeitig wärmte und stärkte. Magische und wunderbare Momente…

Dass wir immer die Unterstützung bekommen, die uns im jeweiligen Augenblick am besten hilft, ob nun von anderen Menschen oder auf wundersame Weise von irgendwoher…, und dass wir erfahren können, dass wir weder immer GROSS sein müssen, noch immer klein sind,

das wünsche ich uns von ganzem Herzen.

Rolf

Kommentare

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(Nutzer gelöscht) 03.07.2010 20:04
@rollidm

Wunderschöner Beitrag mit liebevollen Gedanken-danke dafür.
 
rollidm51 05.07.2010 00:30
@rainbow50
Danke für deinen schönen Kommentar!
Ja, ich habe schon die Erfahrung machen können, dass es mir selbst gut ging, indem ich jemand anderem geholfen habe. Generell finde ich es ein schönes Gefühl zu spüren, dass das, was ich tue für einen anderen hilfreich, schön oder wohltuend ist und dankbar angenommen wird. Dazu braucht es kein Wort des Dankes – es einfach nur zu fühlen ist um vieles stärker als jedes Wort.
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